Kalligraphien und ihre Bedeutung

Bei diesem universalen Gelübde handelt es sich um das Gelübde welches der Bodhisattva Avalokiteshvara stellvertetend für alle Bodhisattvas abgelegt hat. Davon wird im 7. Kapitel des Lotus Sutra berichtet. Der Begriff Bodhisattva bedeutet „Wesen der Erleuchtung“. Avalokiteshvara (Sanskrit) ist uns besser bekannt als Kanzeon, Kannon oder Kwannon im Japanischen, oder auch Kuan Yin im Chinesischen. Dieses Wesen wird als der Bodhisattva des Mitgefühls bezeichnet. Er hört den „Klang der Welt“, das heisst die Seufzer der leidenden Wesen, und reagiert darauf. Im Laufe der buddhistischen Geschichte hat diese Gestalt mehrmals das Geschlecht gewechselt, wurde also zeitenweise als Frau und dann wieder als Mann dargestellt, oder auch ohne Geschlechtsmerkmale. Es handelt sich nicht um ein historisch verbürgtes Wesen das einmal gelebt hat.

Mit dem Gelübde, welches er abgelegt hat, verpflichtet sich Avalokiteshvara auf sein Eingehen ins Nirvana, auf die endgültige Erlösung aus den Wiedergeburten und auf seine Buddhaschaft zu verzichten, bis alle fühlenden Wesen zur Erlösung aus dem Leiden geführt worden sind. Diese grundsätzliche Haltung ist das grosse Ideal des Mahayana Buddhismus, zu dem auch unsere Zen Schule gehört. Im Gegensatz dazu wird im Hinayana Buddhismus, auch Theravada Buddhismus genannt, die eigene Erlösung, das eigene Eingehen ins Nirvana betont.

Jedes Mal wenn wir im Dojo beginnen mit dem Zazen rezitieren wir das Herz Sutra, das Grosse Licht Dharani, und zum Schluss die Vier Grossen Gelübde:

Die Wesen sind unzählig; Wir geloben sie alle zu retten
Die Leidenschaften sind unerschöpflich; Wir geloben sie alle abzuschneiden
Die Dharma Lehren sind unermesslich; Wir geloben sie alle zu meistern
Buddhas Weg ist unendlich; Wir geloben ihn zu gehen

Diese Vier Grossen Gelübde sind ihrem Sinn nach identisch mit dem Gelübde Avalokiteshvaras. Sie sind dem Gefühl von uns übenden Menschen angepasst, noch weit von der Buddhaschaft entfernt zu sein. Aus diesem Gefühl heraus erscheint es uns, wenn wir ehrlich sind, völlig unmöglich diese Gelübde halten zu können. Trotzdem wiederholen wir sie unendlich viele Male. Sie sind nichts anderes als der umfassende Ausdruck der uns innewohnenden Buddha Natur. Im Moment in dem wir diese Gelübde aus ganzem Herzen rezitieren und uns vornehmen, sie so gut es geht zu erfüllen, in diesem Moment sind wir nichts anderes als Buddha. Diese Haltung einzunehmen, ganz gleich was geschieht, ohne wenn und aber, heisst erlöst zu werden vom Leiden, vom Getrennt sein von allem Sein. Diese Haltung lässt uns aufgehen im Ganzen, überwindet die enge und eingeschränkte Sicht unseres individuellen und egoistischen Seins. Genau darin liegt die unendliche Tiefe dieser Versprechen die wir immer wieder ablegen. Möge unser Mitgefühl sich ausweiten auf das ganze Universum und tief wie der Ozean werden. 


Konnichi wa – So begrüssen sich die Japaner in der Umgangssprache. Das heisst wörtlich übersetzt „Heute“, oder „dieser Tag“, und entspricht unserem „Guten Tag“. Konnichi heisst also Heute.

 Der Ausdruck „Buji“ ist schwerer zu übersetzen. Er ist zusammengesetzt aus „Bu“, das heisst Nicht, oder Nichts, oder Kein, synonym zu unserem „Mu“ und zum chinesischen „Wu“. Und „Ji“, das heisst Aktivität, Ereignis, Machen, Existieren, Wollen. Sinngemäss meint Buji: Nichts zu tun haben, keine Pflicht, kein erreichen Wollen, oder auch ‚Nicht Tun‘, so wie im chinesischen Wu Wei. Wu Wei kennt man bei uns auch aus den asiatischen  Kampfkünsten wie dem Kung Fu, Wing Tsun und dem Wushu, aber auch aus dem Tai Chi und Quigong. Im Folgenden schreibe ich der Einfachheit halber einfach vom Nicht Tun.

Dieses Nicht Tun wurde schon im Konfuzianismus und im Taoismus, also im alten China und darüber hinaus im fernöstlichen Kulturraum, als eine Haltung, als eine Eigenschaft von Menschen mit grosser Verantwortung beschrieben und empfohlen. Im Tao Te King kommt dieser Spruch vor: Beim Nicht Tun bleibt nichts ungetan. Wir merken schon, dass dieses Nicht Tun keinesfalls meint, wir sollten regungslos den Tag im Bett oder auf dem Sofa verbringen. Wenn wir aber ohne irgendein Vorhaben zu verfolgen, ohne irgendein Ziel im Auge zu haben, ohne irgendetwas zu wollen, einfach achtsam im Hier und Jetzt präsent sind, dann können wir wahrnehmen was gerade getan werden muss. Haben wir gegessen, wartet das Geschirr darauf abgewaschen zu werden. Weint ein kleines oder grosses Menschenkind, will es getröstet sein. Hat sich Staub angesammelt, sollten wir putzen. Der Gründer unserer Zen Schule, Rinzai Gigen Zenji Dai Osho, gestorben um 867 im alten China, hat in einem seiner Vorträge gesagt:

„Für den Buddha Dharma ist keine künstliche Anstrengung nötig. Seid einfach natürlich, bemüht euch nicht. Scheissen, Pinkeln, Kleider anziehen, und euch hinlegen wenn ihr müde seid. Narren mögen lachen über mich, aber die Weisen verstehen.“

Diese Haltung des Nicht Tun steht in einem krassen Gegensatz zu den Werten welche unsere heutige Gesellschaft in Ehren hält. Von klein auf werden wir dazu angehalten Ziele zu verfolgen, uns zu bilden und zu optimieren, „etwas“ aus unserem Leben zu machen, materiellen Reichtum und gesellschaftliches Ansehen zu gewinnen. Und ob all dem uns Bemühen kommen wir uns selbst abhanden, trennen wir uns immer mehr von unserer Quelle. Nicht, dass wir uns tatsächlich trennen könnten von ihr. Sie bringt uns die ganze Zeit hervor und ist als Ursprung in uns anwesend. Aber wir verlieren die Sicht darauf, den Kontakt dazu, sind uns unserem Ursprung nicht mehr gewahr. Dieses „etwas aus unserem Leben machen“ ist wie einer Schlange Beine anheften, oder einen Hut auf unseren Hut setzen. Woher kommen wir denn? Sind wir nicht ganz und gar am Leben so wie wir sind? Kann ein Grashalm, kann die Sonne, kann eine Rose mehr aus sich machen? Dadurch, dass sie 100% das sind was sie sind, dadurch sind sie einzigartig, unvergleichlich und wunderbar. Es ist ein grosser Irrtum zu meinen es verhalte sich mit uns Menschen anders. Wurden wir nicht alle ganz von selbst geboren? Sind wir nicht alle ganz von selbst gewachsen, haben uns vom Baby zum Kind, vom Kind zum Jugendlichen, und vom Jugendlichen zum erwachsenen Menschen entwickelt, ohne dass wir etwas hätten dazu, oder dagegen tun können. Sind wir nicht, so verschieden und unvollkommen wie wir sind, absolut vollkommen? Warum haben wir das Vertrauen verloren in das Unfassbare, Unbegreifliche Etwas, oder besser Nichts, das uns, und die Welt, und das ganze unendliche Weltall in unauslotbarer Weisheit entstehen lässt?   

Nur ein Mensch der sich von allem inneren Lärm, von allem Wollen, von allem beurteilen und erreichen und vermeiden Wollen entleert hat, kann aus ganzem Herzen auf die Welt reagieren. Hätte Kanzeon, der Bodhisattva des Migefühls, eine innere Agenda, einen Plan, eine Absicht allen Wesen zu helfen in ihren Nöten  –  nie und nimmer könnte er all ihre Seufzer wahrnehmen und spontan aus seinem Mitgefühl darauf reagieren. In der Tat – nur beim Nicht Tun bleibt nichts ungetan.

Zum Schluss möchte ich noch auf die spontane, unbeschwerte Leichtigkeit und Eleganz hinweisen, mit der der Künstler diese Kalligraphie geschrieben hat, ganz im Einklang mit der Bedeutung der Worte.


Dieses Zitat ist Teil eines Satzes den Konfuzius selbst ausgesprochen haben soll um 290 vor Christus im alten China: „Der Weg ist nah, doch wir suchen ihn in der Ferne; das Werk ist leicht zu vollbringen, doch wir suchen die Schwierigkeiten.“

Der Weg, Dao im Chinesischen, Dô im Japanischen, kann auf verschiedene Arten verstanden werden. Einmal ist es der Weg, der von A nach B führt, dem Waldrand entlang, oder durch die Schlucht oder so. Dann hat er auch die Bedeutung von unserem Lebensweg auf dem wir unterwegs sind. Jede fortschreitende Entwicklung kann als Weg verstanden werden. Und so wird auch unsere Zen Schulung, unser Üben als Weg bezeichnet. Das Wort Dôjo ist zusammengesetzt aus Dô = Weg, und Jo = Ort; so ist das Dôjo der Ort wo geübt wird. Das gilt nicht nur für den Ort wo Zen geübt wird, sondern auch für einige andere Übungswege, vorab solche der fernöstlichen Kampfkünste wie Judo, Karate, Aikido usw. Wir sprechen auch oft vom Zendô was eine Abkürzung ist von Zen Dôjo.

Dieser unser Weg soll also nah sein. Wir brauchen ihn nicht in der Ferne zu suchen. Wir brauchen nicht nach Japan zu reisen um Zen zu üben. Damit können wir uns wahrscheinlich ohne weiteres einverstanden erklären. Zen hat die Worte von Konfuzius aber noch konkreter gefasst und sagt: Der Weg liegt unter deinen Füssen! Wo immer wir uns befinden, was immer wir gerade treiben, es ist nichts anderes als der Weg, unser Weg, unsere Entwicklung, unser Fortschreiten, unsere Übung. Wir brauchen nicht nach Japan zu reisen, nicht einmal ins Dojo zu fahren, ja nicht einmal das Haus zu verlassen.

Von diesem fundamentalen Standpunkt aus gesehen sind alle Menschen, im Grunde sogar alle Erscheinungen auf dem Weg, sich unablässig entwickelnd und verändernd. Fragen wir nach dem Ziel dieses Weges, oder anders gesagt, suchen wir es in der Ferne, gehen wir in die Irre. Nirgends anders als da wo wir gerade sind erfüllt sich der Weg in jedem Augenblick. Sind wir zurückgekehrt in den Grund und Ursprung unseres Seins, sind wir vollkommen zuhause und anwesend im Hier und Jetzt. Dann ergeht es uns wie dem Hirten in der Zen Geschichte „Der Ochs und sein Hirte“ auf der vorletzten Stufe:

„Schon hat der Hirte alle Kraft des Herzens verschwendet und  ist alle Wege zu Ende gegangen.
Sogar das klarste Erwachen übertrifft nicht Taubheit und Blindheit.
Unter den Strohsandalen endet der Weg, den er einst kam.
Kein Vogel singt. Rote Blumen blühen in herrlicher Wirre.“

Zitat aus dem Buch: Der Ochs und sein Hirte, Günther Neske Verlag

Diese Taubheit und Blindheit die hier gepriesen wird ist natürlich nicht das gewöhnliche nicht sehen und hören können. Es ist das befreit Sein von der Gier nach Gewinn und der Angst vor Verlust, das befreit Sein von Meinungen über Gut und Schlecht die aufstehen widereinander wie Speerspitzen im Schlachtfeld. Oder noch essentieller ausgedrückt: Buji  –  Nicht tun! Sind wir noch nicht soweit, müssen wir alle Kraft unseres Herzens verschwenden, müssen üben, müssen suchen, müssen ins Dôjo fahren um mit anderen zu praktizieren, müssen vielleicht sogar nach Japan reisen, bis der endlose Weg endet unter unseren Füssen, bis wir angekommen sind, da wo wir uns gerade befinden.


Dieses Wort Chisoku hat im Zen grösste Bedeutung. Es ist aus zwei Schriftzeichen zusammen gesetzt, wie man bei dieser Kalligraphie gut sehen kann. Das Schriftzeichen oben rechts ist Chi = Wissen; und das untere, linke Schriftzeichen ist soku = genug, genügend. Es geht also um das Wissen, dass da genug ist. Es ist genug da von Allem, genügend, mehr als genügend, mehr als genug. Das steht in krassem Gegensatz zu unserer ewigen menschlichen Unzufriedenheit. Wenn es nach dieser Unzufriedenheit ginge, dann wäre es nie genug. Selbst wenn wir etwas erreicht haben, das wir uns gewünscht haben, lässt der nächste Wunsch nicht lange auf sich warten, möchten wir mehr und besseres.      
Wie so vieles im Zen lässt sich auch dieser Begriff der Genügsamkeit auf den Taoismus zurückführen. Im Tao Te King kommt das Wort Zhisu, chinesisch für Chisoku, zweimal vor, nämlich im 33. und 44. Kapitel. Ich zitiere aus der Übersetzung ins Deutsche von Stephen Mitchells Übertragung des Tao Te King ins Englische:

„Siehst du ein, dass du genug hast (Chisoku), dann bist du wahrhaft reich.“

„Gib dich zufrieden mit dem, was du hast;
erfreu dich am Sosein der Dinge.
Wenn du einsiehst, dass nichts dir fehlt (Chisoku),
gehört dir die ganze Welt.“

Wenn wir hören es sei genug da von Allem, dann denken wir vielleicht zuerst an Nahrungsmittel, an Geld, an Platz zum Leben, an Freunde,  an Dinge die wir brauchen und für die wir sorgen müssen, dass wir sie bekommen. Wie steht es aber mit Krankheiten, Einschränkungen, Langeweile, Schmerzen, ob physisch oder emotional, mit Hunger, Einsamkeit und all diesen Dingen von denen wir das Gefühl haben wir bräuchten sie nicht, oder meinen wir könnten ohne sie leben. Zäh und eisern hält unsere Selbstsucht, unser Egoismus daran fest, dass wir nur diejenigen Dinge brauchen, die uns angenehm sind, die unser Überleben garantieren. Weil uns dieser Egoismus den Blick verschleiert, haben wir grösste Mühe zu erkennen, dass Nichts in diesem Universum überflüssig ist, dass Alles gebraucht wird, und seinen uns vielleicht verborgenen Sinn hat. Wenn alle unsere Ansprüche an dieses Leben auf Null herunter gefahren werden, erst dann können wir erkennen, erfahren, dass es von Allem genug hat. Erst dann können wir dankbar annehmen, dass uns das Leben – genau so wie es ist – reich beschenkt.


Diese Kalligraphie ist frei geschrieben. Ich habe die Kanji unten angefügt, damit wir sehen können wie der Kalligraph die klassischen Schriftzeichen in ein dynamisches, lebendiges und intuitiv geschriebenes Kunstwerk umgesetzt hat. Der eine Strich rechts steht für Ein, Eins, Eine – japanisch Ichi. Und das Nyo steht für absolut, das Absolute; wie in unserer viel rezitierten Widmung zum Herz Sutra: Buddha Shakyamuni Nyorai. Wir könnten die Kalligraphie also wörtlich, und etwas hölzern, übersetzen: Ein Absolutes. Dieses Absolute ist aber so absolut, dass es gar nicht Eins sein kann, noch weniger Zwei. Es ist unendlich, d.h. ohne Anfang, ohne Ende, Alles durchdringend, nicht fassbar, zeitlos ewig, nicht seiend, und bringt doch Alles Seiende hervor. Im Zen wird es auch Mu genannt.

Aber Schluss jetzt mit dieser intellektuellen Klugscheisserei. Wie kommen wir dahin in diesem Absoluten aufzugehen,  uns Eins zu fühlen damit. In unserem Koan Training sollten wir ja Eins werden mit dem Koan, mit der Situation die darin vorkommt, um zu einer Lösung zu gelangen. Und auch im Alltagsleben, so wird uns angeraten, sollten wir mit den Umständen Eins werden, um angemessen darauf reagieren zu können. Und manchmal, nur allzu selten, gibt es diese Momente in unseren Leben, in denen „Alles stimmt“, wie wir vielleicht sagen würden. Momente sind das, in denen wir keinerlei inneren Widerstand leisten gegen die Umstände, so wie sie gerade sind. Momente, in denen wir, ohne betäubt zu sein, uns einfach der Situation überlassen können, und vom Leben getragen, im Einklang mit dem Universum, und mit einem gewissen Glücksgefühl  wahrnehmen, dass Alles so ist wie es ist. Regt sich aber nur die kleinste Kritik in uns an den Begebenheiten, das leiseste Unbehagen, und sei es auch nur mit uns selbst, dann ist der Zustand verloren und wir finden uns wieder in dem wohlbekannten Gefühl, dass es noch nicht soweit und das Paradies noch weit weg ist. Üblicherweise führen wir das zurück darauf, dass halt die Umstände nicht so sind wie sie sein sollten, oder wir selbst halt noch nicht so fortgeschritten sind in unserer Entwicklung wie wir es uns erhofften. Nach Jahren der Übung, des Zen Trainings, merken wir aber, dass es nicht die Umstände sind, welche uns vom Eins-Sein abhalten. Solange wir versuchen die Umstände so zurecht zu biegen, dass sie unseren Bedürfnissen entsprechen, solange sind wir im Kampf mit ihnen, und somit getrennt. Erst wenn wir es aufgegeben haben die Welt verändern zu wollen, können wir Eins werden mit ihr, können wir sie, so wie sie ist, annehmen und aufgehen in ihr. Oft wird diese innere Einstellung als fatalistisch angesehen und entsprechend kritisiert. Das ist sehr oberflächlich gedacht. Wenn wir die Umstände so annehmen wie sie jetzt gerade sind, heisst das nicht, dass wir nicht tätig sein, und damit die Umstände verändern können. Wenn wir nach dem feinen Abendessen am Tisch sitzen und bemerken, dass das Geschirr, verunreinigt wie es ist, noch auf dem Tisch steht, dann können wir uns darüber aufhalten, ärgern, diskutieren, wie wir so etwas vermeiden könnten, oder sogar Vorwürfe formulieren und Schuldige suchen, welche zur Strafe das Geschirr abwaschen müssen. Wir können es aber auch einfach annehmen, Eins werden damit, und als natürliche Reaktion darauf, das Geschirr in die Küche tragen und es dort abwaschen. Was uns mit dem Geschirr, wie in diesem Beispiel, vielleicht noch gut gelingt, ist auf anderen Schauplätzen gar nicht einfach. Unser Eigenwille ist schier grenzenlos. Die Meinung, dass wir ein Recht darauf haben, dass das Universum, die Welt, die nähere Umgebung und wir selbst so zu sein hätten, wie wir es für gut halten, hält sich hartnäckig. Diesem Egoismus die Grundlage zu entziehen ist unsere Übung. Das geht nicht von Heute auf Morgen. Geduldiges Schleifen ist nötig. Wiederholen, Wiederholen, Wiederholen, und der wiederkehrende Wechsel zwischen Zazen, Sesshin und dem gewöhnlichen Alltag, in dem sich die Sammlung und Einsicht bewähren muss, ist unsere unablässige Übung auf dem Weg.

Ist aller Eigenwille einmal abgetan, sind wir einmal den Grossen Tod gestorben, einmal eingetaucht in das Absolute, dann ergeht es uns wie dem Hirten beim Zähmen des Ochsen auf der vorletzten Stufe seiner Entwicklung:

Schon hat der Hirt alle Kraft des Herzens verschwendet und ist alle Wege zu Ende gegangen.
Sogar das klarste Erwachen übertrifft nicht Taubheit und Blindheit.
Unter den Strohsandalen endet der Weg, den er einst kam.
Kein Vogel singt. Rote Blumen blühen in herrlicher Wirre.

Es braucht Mut, so zu werden wie tote Asche, den Grossen Tod einmal zu sterben. Aber nur so können wir uns des Absoluten gewahr werden, darin eintauchen, Eins werden damit. Auf gedanklicher Ebene können wir bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen, was gemeint ist. Das erschöpfende Üben und die Erfahrung selbst, das eigene Erleben des Eins-Seins sind von einer ganz anderen, existentiell erschütternden Kraft. Heimgekommen, gibt es nichts mehr zu tun. Das Leben lebt sich auf wunderbare Weise selbst.

Tod und Leben – nicht Eins, nicht Zwei;
Sonne, Mond und Sterne;
Bäume, Gräser und Blumen;
Berge, Täler und Flüsse;
Menschen, Tiere und Viren;

Alle sind gesegnet


Wir Menschen neigen dazu solchen Lichtgestalten wie Kanzeon, oder der heiligen Maria, oder Jesus, und vielen anderen mehr, Verehrung zu erweisen, ihnen Opfergaben darzubringen, Räucherwerk zu offerieren und ihnen Gebete zu widmen. Wir möchten, dass etwas von ihrer Güte in der Welt aufscheint, ja vielleicht sogar ein wenig auf uns übergeht. Diese Rituale sind so alt wie die Menschheit, und sie sind auf ihre Weise schön.

Und doch – wenn wir uns in intensivem Bemühen darauf besinnen woher wir kommen, wer wir wirklich sind, dann erfahren wir, dass das, was uns – und Alles – hervorbringt, unser eigenes wahres Wesen ist. Dieses Etwas, welches bewirkt, dass wir geboren werden, dass unser Herz schlägt, unsere Leber funktioniert und unsere Haare wachsen, welches uns atmen lässt, ob wir wach sind oder schlafen, und welches uns auch sterben lässt wenn die Zeit gekommen ist, – dieses Etwas ist nichts anderes als das allumfassende Mitgefühl – weit jenseits von Mitleid, Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft und Weltverbesserung. Von allem anfangslosen Anfang an ist es da und wirkt. Alles was wir zu tun haben ist, ES zuzulassen.  

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