Vier Texte von Schriftrollen aus unserem Dojo

Berg ist Berg – Wasser ist Wasser

Kommentar:

Wenn wir als Anfänger mit der Praxis des  Zen beginnen, dann ist für uns ein Berg ganz selbstverständlich ein Berg, und Wasser ist einfach Wasser. Mit der Zeit, wenn wir gewissenhaft üben, und sich unsere Einsicht in die wahre Natur des Universums vertieft, kommen wir zu der Ansicht, dass ein Berg nicht wirklich ein Berg ist. Er sieht aus wie ein Berg und wird so genannt, aber seiner wahren Natur nach ist er „leer“, hat keine wirkliche Existenz. Dasselbe gilt für das Wasser. Neben die gewöhnliche, relative Sicht auf die Erscheinungsformen, gesellt sich die absolute Sicht, in der die Dinge als leer erscheinen, als bloss wahrgenommene Formen, wie etwa ein Film auf der Leinwand, oder eine Fatamorgana. Im Laufe unseres Übens springen wir dauernd von der einen Sichtweise zu der anderen und zurück, bis sich mit der Zeit eine umfassende Schau einstellt die beide Aspekte vereint. Dann können wir aus tiefstem Herzen, und mit profundem Verständnis bejahen:
BERG  IST  BERG – WASSER  IST  WASSER!
Oder wie es das Herz Sutra ausdrückt, welches wir ja immer und immer wieder rezitieren:
Shiki Fu I Ku; Ku Fu I Shiki; Shiki Soku Ze Ku; Ku Soku Ze Shiki!
Form ist Leere; Leere ist Form; Form ist genau Leere; Leere ist genau Form!

 

Immerwährender Reiner Wind

Kommentar:

Es gibt ein Zen Sprichwort:
Ein kühler Wind weht sanft durch unseren Geist – ganz gleich was geschieht.
Ganz gleich was geschieht – ein kühler Wind weht sanft durch unseren Geist.
Dieser „Wind“, was ist das? Wir kennen das Kôan von der Fahne die sich im Wind bewegt. Die Mönche diskutieren darüber ob es der Wind ist der die Fahne bewegt, oder ob es die Fahne ist die sich im Wind bewegt. Der Meister sagt ihnen: „Es ist euer Geist der sich bewegt.“ Im Grunde bewegt sich weder die Fahne, noch der Wind, noch der Geist. Dieses „im Grunde“ ist der Immerwährende Reine Wind, der all die unzähligen Erscheinungsformen auf wunderbare und geheimnisvolle Weise hervorbringt. Er weht ohne zu wehen. Er weht durch uns und das ganze unendliche Universum hindurch und bewegt alle Dinge, ohne Anfang – ohne Ende. Wenn wir uns seinem Wehen überlassen ist alles in Ordnung, so wie es ist. Dann weht ein kühler Wind sanft durch unseren Geist – ganz gleich was geschieht.

 

Weisse Wolken ziehen, ziehen

Kommentar:

Die Wolken am Himmel! Immerzu verändern sie sich, sind in Bewegung, bleiben unfassbar und ohne feste Substanz. Manchmal sind sie lieblich, manchmal aber auch drohend und erscheinen gefährlich. Den Anfängern im Zen raten wir, dass sie ihre Gedanken beim Zazen behandeln sollen wie die Wolken; sie kommen lassen und auch wieder gehen lassen, ohne mit ihnen etwas anzufangen. Da stehen die Wolken also für unsere Gedanken, unsere Meinungen, unsere Urteile, unsere Ideen, unsere Wünsche und Hoffnungen, und unsere Illusionen. Pausenlos ziehen sie durch den leeren Himmel unseres Bewusstseins. Es braucht sehr viel Übung sie einfach kommen und gehen zu lassen. Oft sind sie faszinierend und interessant, und wir erliegen der Versuchung uns mit ihnen zu beschäftigen, sie zu verfolgen und weiter zu spinnen. Gelingt es uns das bleiben zu lassen, und geduldig und beharrlich bei unserem Atem zu bleiben, dann beruhigen sie sich. Wir selbst werden stabil und gefestigt, kommen in eine tiefgründende Ruhe und Gelassenheit. Dieser Zustand wird Samadhi genannt.
Auf einer wesentlich tieferen Ebene aber können die Erscheinungsformen, das was wir mit unseren Sinnen als Wirklichkeit wahrnehmen, als Wolken gesehen werden, die kommen und gehen, von dem „Immerwährenden Reinen Wind“ in Bewegung gehalten. Alles ist unbeständig, alles verändert sich, nichts bleibt wie es ist. Das Diamant Sutra endet mit dem folgenden wunderbaren Vers, der auf poetische Art diese Sichtweise ausdrückt:

Also sage ich dir:

Alle zusammengesetzten Dinge sind wie ein Traum,
eine Fantasie, eine Luftblase und ein Schatten,
sind wie ein Tautropfen und ein Blitz.
So sollten sie betrachtet werden.

– Und ebenso solltest du

Diese vergängliche Welt auf diese Weise betrachten:
Als einen Stern in der Dämmerung, eine Luftblase in einem Fluss,
einen Tautropfen, einen Gewitterblitz in einer Sommerwolke,
eine flackernde Lampe, ein Trugbild und einen Traum.

 

Grundsätzlich existiert nicht ein Ding

Kommentar:

Normalerweise sind wir überzeugt, dass die Welt, und auch die Sonne, der Mond und die Sterne existieren, weil wir sie mit unseren Sinnen wahrnehmen. Wenn wir aber ehrlich, nüchtern und genau diese Sache betrachten, dann müssen wir sagen: Alles was wir erst einmal wirklich haben ist eben diese Wahrnehmung; wir sehen, hören, riechen, schmecken, spüren. Erst in einem zweiten Schritt interpretieren wir das Wahrgenommene, nennen es der allgemeinen Übereinkunft folgend einen Baum, oder ein Auto, oder was auch immer. Erst mit diesem Schritt wird die Wahrnehmung zu einem „Ding“. Sie verselbständigt sich sozusagen, unterscheidet und trennt sich von den anderen „Dingen“, bzw. Wahrnehmungen, und auch von  dem Wahrnehmenden. In tiefem Samadhi, der Versunkenheit in unserem eigenen Unbewussten, können wir Eins werden mit der Umgebung, der Situation, den „Dingen“ die uns umgeben. In diesem Zustand sind unsere Wahrnehmung, das Wahrgenommene, und wir als die Wahrnehmenden nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Wer je diese Erfahrung des Eins Seins gemacht hat, weiss um das tiefe Gefühl des „nach Hause Kommens“, welches sich dabei einstellt; weiss um die Erholsamkeit dieses Zustandes. In dieser absoluten Verbundenheit mit dem grenzenlosen Universum und all den Erscheinungsformen, die sich darin zeigen, existiert tatsächlich kein einziges „Ding“. Ob wir Menschen es wissen oder nicht: Unser Herz sehnt sich zutiefst nach diesem Aufgehobensein in der absoluten Verbundenheit.

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