Die Übung des Zen konkret

Sinn und Zweck der Praxis

Das Kernstück der Zen Übung ist zweifellos das Sitzen in Versenkung, das Zazen. Durch das unbewegliche Sitzen, die Konzentration in unserem Hara und die Beobachtung unseres Atems kommen wir zu uns selbst. Die Gedanken, welche ohne Unterlass entstehen, werden unwichtig und wir erfahren die Wirklichkeit unbeeinflusst von den üblichen Wünschen unseres besitzergreifenden Ego – wir fühlen uns verbunden anstatt getrennt ; das wird Samadhi genannt. Daneben gibt es aber noch andere Aspekte der Zen Übung, welche auf der ganzen Welt, nicht nur von den Mönchen und Nonnen in den Klöstern, sondern auch von den Laien in den Zendô und Dôjô praktiziert werden. Dazu gehören das Rezitieren von Sutren, die Verbeugungen, die Gehmeditation, Dokusan (Zwiesprache mit dem Lehrer), die allgemeine Disziplin und das Samu, das Arbeiten in konzentrierter Stille und Hingabe. Im Folgenden möchte ich einige Erklärungen abgeben zu diesen Formen der Übung.

Sutra Rezitation:

Sutren und Dharanis (die Lehren Shakyamuni Buddhas und mystische Verse) werden in den Zen Klöstern mehrmals täglich, und in den Dôjô jeweils vor und nach dem Zazen rezitiert. Das geschieht oft in sino-japanischer Sprache, einer japanischen Aussprache chinesischer Schriftzeichen. Natürlich gibt es Übersetzungen der Sutren und der Dharani, und es lohnt sich immer diese Übersetzungen zu studieren. Bei der Rezitation aber geht es in erster Linie um unsere Stimme und den Atem. Wir sollten laut, kräftig und aus dem Bauch heraus rezitieren, und uns um nichts anderes kümmern. Die Wirkung dieser Art Atemübung ist erstaunlich. Alle Arten von Spannungen, Sorgen, Frustrationen oder Ängsten drücken sich mit unserer Stimme aus, und verlassen uns so.

Verbeugungen:

Nicht nur zur Begrüssung unter uns, sondern auch viele Male vor und nach dem Zazen verbeugen wir uns vor dem Altar und vor den anderen im Zendo. Auch werfen wir uns gemeinsam vor dem Altar dreimal zu Boden und halten unsere Handflächen nach oben, so als ob wir Buddhas Füsse hochhalten würden. Dieses sich verbeugen drückt aus, dass wir unser persönliches Ego, also unsere Vorlieben, Abneigungen, Wünsche, Befürchtungen und Vorurteile aufgeben zugunsten von etwas Grösserem: Der Übung des Zen, der Gemeinschaft, der Lehre Buddhas, des universellen Ursprungs, dessen, was uns hervorgebracht hat. Wie beim Rezitieren ist auch hier das körperliche Tun, der tatsächliche Vollzug in der Realität, wichtig. Dieser körperliche Ausdruck ist viel wirkungsvoller als das blosse Denken. Er führt dazu, dass wir in allen möglichen Situationen beweglich bleiben und uns den gegebenen Umständen anpassen, und rücksichtsvoll darauf reagieren können.

Kinhin, Gehmeditation:

Zwischen den Sitzperioden gehen wir in Einerreihe in achtsamen Schritten und in voller Konzentration umher. Dabei halten wir unsere Hände vor dem Brustbein, die rechte Faust in der linken Hand. Wie beim Sitzen auch soll die linke Hand die rechte dominieren. Beim Sitzen soll die linke Hand auf der rechten ruhen. Die linke Körperhälfte wird von der rechten Hirnhälfte gesteuert, und die rechte Körperhälfte von der linken Hirnhälfte. Man schreibt der linken Hirnhälfte das logische, intellektuelle Denken und die Steuerung der Sprachfunktionen zu. Die rechte Hirnhälfte verbindet man mit Intuition und Emotionen. Beim Üben von Zazen und bei der Gehmeditation soll also das intellektuelle, sprachliche Denken zugunsten der Intuition in den Hintergrund treten. Durch die Konzentration auf unser Hara, die Körpermitte, wird die Intuition gestärkt.
Während dem Kinhin ist es möglich das WC zu benutzen. Wir verlassen dazu mit einer Verbeugung die Einerreihe und kehren mit einer Verbeugung an unseren Platz in der Reihe zurück.

Dokusan:

Unter Dokusan, auch Sanzen genannt, versteht man die Zwiesprache mit dem autorisierten Lehrer.  In der Rinzai Zen Tradition werden den fortgeschrittenen Schülern Aufgaben gestellt, sogenannte Kôan, die der Schüler lösen, bzw. durchdringen soll. Im Dokusan präsentiert der Schüler seine Einsichten und Erfahrungen,  und bespricht sie mit dem Lehrer. Aufgrund seiner grossen Einsicht und Erfahrung beurteilt der Lehrer die Qualität der Erfahrung des Schülers und wird ihn entsprechend führen und anspornen. Er kann auch Fragen im Zusammenhang mit  der Zen Meditation stellen.

Allgemeine Disziplin:

Im dem Raum in dem wir Zazen üben wird nicht geschwatzt. Wir bewegen uns konzentriert und nur soweit wie es der Ablauf verlangt. Es ist verboten im Zendô zu gähnen. Auch wenn wir uns müde oder schläfrig fühlen, sollen wir uns aufrichtig bemühen, durch Konzentration auf die Atmung im Hara wach zu bleiben. Die Kleidung im Zendô soll unauffällig und wenn möglich dunkel sein. Wir verzichten auf Makeup und Parfums. Diese geübte Disziplin hilft uns von unserer übertriebenen Ich-Verhaftung loszukommen und zu einem ganzheitlichen, universellen Bewusstsein zu erwachen.

Samu:

Samu wird oft als Arbeit übersetzt. Es ist aber viel mehr als das. Es ist die Fortsetzung der Meditation während dem wir arbeiten. Kein Schwatzen, nur das Nötigste in Bezug auf die Arbeit wird kommuniziert. Konzentration und Hingabe werden aufrecht erhalten, ungeachtet davon ob wir die Tätigkeit lieben oder eher nicht begeistert sind davon. Was immer getan werden muss wird mit Gleichmut und Elan erledigt. So wird jedes Tun zu einem erfüllenden Erlebnis. All diese Elemente der Zen Übung wirken weit in unseren Alltag hinein. Mit der Zeit, mit den Jahren, den Jahrzehnten der Übung verschwindet die Trennung, der Unterschied zwischen Dôjô-Zen und Alltag immer mehr, und wir geniessen mit Hingabe und Konzentration jeden neuen Tag. Jeder Tag wird so zu einem guten Tag.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert